„Chez Shakespeare“ klingt ja eigentlich sehr englisch, nicht wahr. Doch es handelt sich um etwas sehr Pariserisches. Um den wahrscheinlich originellsten Buchladen in der Seine Stad. Wobei das Wörtchen Laden in diesem Fall dann doch ein britisches Understatement ist. Denn der Laden ist gleich ein ganzes Haus. Ein historischer Bau mit vielen Büchern im. Inneren, mit häufiger Aufforderung zum Tee-Trinken. Ein amerikanischer Bookstore also, der heute fast genauso zum Paris Image gehört wie Eiffelturm oder Triumphbogen. Direkt am Seine-Ufer gelegen ist dieses Stückchen Buchhimmel, eines der Zentren der Avantgarde-Intellektuellen des Quartier Latin.
Wenn es nicht gerade regnet, stehen die ersten Bücherregale vor dem Eingang. Auf sie lächelt das Portrait Walt Whitman’s herab. Auch die von windschiefen Balken eingerahmten Schaufenster sind mit Büchern vollgestopft. Suchen Sie gerade Unterkunft oder Arbeit, dann schauen Sie sich doch einmal die Tafel neben der Eingangstür an. Die dort angeschriebenen Informationen werden unter Insidern als eine Art Geheimtip gehandelt. George Withman, Besitzer und Seele des Ladens bis 2011, gründete sein Unternehmen 1951. Als Sohn eines Physik Professors aus Harvard war er nach Paris gekommen, um an der Sorbonne zu studieren. Von Büchern und der Stadt fasziniert, beschloss er, einen amerikanischen Buchladen zu eröffnen. Für ein paar Francs erstand George einen arabischen Krämerladen, den seine Besitzer wegen Geldmangels aufgeben mussten. Nach dem amerikanischen Motto „Do it yourself“ zimmerte er das notwendige Inventar. Noch heute zieren seine windschiefen Regale die Wände.
Von Tolstoi bis Shakespeare ist hier fast alles zu finden. Das Erdgeschoss ist in Antiquariat und Verkaufsraum unterteilt. Auch im Keller, in dem noch die Druckerpresse des legendären Ulysses es von James Joys steht, können Sie Bücher erwerben. Im ersten Stock und den drei dazugehörigen Apartments hingegen sind Lesesäle und Bibliothek untergebracht.
Bestätigung für dieses gelungene Rezept eines Buchladens fand George in der Begeisterung der Schriftsteller, die immer wiederkamen. Schon Henry Miller nannte Shakespeare & Co. „das beste Haus der Bücher“. Eine Enkelin Hemingways verbrachte hier sogar einige Zeit als Gastmutter für das Ladenpublikum. In dem fantastischen Durcheinander von Withmans Buchladen fühlt sich jedoch nicht nur der Bücherwurm wohl. Dank der Persönlichkeit Withmans wurde der Laden zu einem Ort der Begegnung. Jeden Sonntagnachmittag trifft man sich bei dem bis 2011 vom Hausherrn selbst in einer zerbeulten Blechkanne servierten Tee und diskutiert. George – heute seine Tochter Sylvia – bieten reisenden Poeten, Jugendlichen und jedem, die sie ihres Interesses für würdig befinden, ein Dach über dem Kopf. Die Gäste werden in zwei Zimmern der ersten Etage beherbergt und helfen im Austausch dafür im Laden mit. Dies erklärt auch das junge und immer wechselnde Personal, das für eine internationale Atmosphäre sorgt. Seinen Schützlingen stand George mit Rat und Tat beiseite, die bis zu seiner bekannten „Soupe aux epinards“ (Spinat-Suppe) reicht. Bedingung war allerdings, dass man jeden Tag, so wie einst der Meister selbst, ein Buch liest.
Bis tief in die Nacht wird hier diskutiert über Leben, Poesie Paris und selbstverständlich auch über die „Soupe aux epinards“. Ständig befinden sich 40-50.000 Bücher in dieser Oase der Leseratten. Neben englischen Büchern sind auch zahlreiche andere Sprachen vertreten, unter anderem auch eine ganze deutsche Abteilung. Die Auswahl reicht von Hermann Hesse bis zum Paris-Führer. Da das Haus Buchladen und Bibliothek vereint, muss auch nicht gleich gekauft werden. In Ruhe kann man sich stundenlang in einem der Räume aufhalten und in andere Welten versinken. Aufgeschreckt wird man höchstens von dem Angebot einer guten Seele „Would you care for some tea?“
Die Räume aus dem 19. Jahrhundert mit nostalgischen Titeln wie „Blue Oyster Reading Room“ oder „Old Smokey Room“ sorgen für das entsprechende Ambiente. Überall kann man spüren, dass hier ein ganz spezieller, von George Whitman kreierter Geist herrscht. Über einer der Türen im ersten Stock können Sie sein Motto finden: „Don’t be unfriendly to strangers, they can be angels“.
Sein Erfolg gab George recht: von einem Verlag wurden ihm schon Anfang der 90iger Jahre 3 Millionen Francs geboten. Doch George lehnte immer ab. Deutsche wurden von George mit den Sätzen, die er noch in der Schule erlernt hatte, „Willkommen Schwesterlein (beziehungsweise Brüderlein)“ in die Arme gezogen.
Im Jahr 2002, im Alter von einundzwanzig Jahren, kehrte Sylvia Whitman, Georges einziges Kind, zu Shakespeare and Company zurück. 2006 beauftragte George Sylvia offiziell mit der Leitung. An den Fensterläden vor dem Laden schrieb er: „Jedes Kloster hatte einen Frère Lampier, dessen Aufgabe es war, die Lampen bei Einbruch der Dunkelheit anzuzünden. Ich mache das seit fünfzig Jahren. Jetzt ist meine Tochter an der Reihe. “
Sylvia führte mehrere neue literarische Bestrebungen ein. Im Juni 2003 veranstaltete Shakespeare & Cie sein erstes Literaturfestival. Zu den Teilnehmern im Laufe der Jahre gehörten unter anderem Paul Auster, Will Self, Marjane Satrapi, Jung Chang, Philip Pullman, Hanif Kureishi, Siri Hustvedt, Martin Amis und Alistair Horne.
Mit der de Groot Foundation starteten Shakespeare & Cie 2011 den Pariser Literaturpreis, einen Novellenwettbewerb, an dem unveröffentlichte Schriftsteller aus aller Welt teilnehmen können. Mehrere Kino-Auftritte – unter anderem in Richard Linklaters „Before Sunset“ und Woody Allens „Midnight in Paris“ – gehören auch zum Palmares der Buchhandlung. Zu den neuesten Projekten des Shops gehören eine Verlagsgründung und die Suche nach einem Bauernhof auf dem Land in der Nähe von Paris als Rückzugsort für Schriftsteller.
Obwohl George Whitman am 14. Dezember 2011 – zwei Tage nach seinem 98. Geburtstag – verstorben ist, wird sein Roman, diese Buchhandlung, immer noch geschrieben, sowohl von Sylvia als auch von Tausenden von Menschen, die weiterhin bei Shakespeare & Cie lesen, schreiben und schlafen. Genießen Sie hier einen Augenblick des noch originalen Pariser Bohème Lebens, selbst wenn es von einem Amerikaner kommt.
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